Die Mainzer Aktien-Bierbrauerei
1859–1918
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten einige Mainzer Geschäftsleute eine Aktiengesellschaft mit einem Anfangskapital von 600.000 Gulden, um eine leistungsfähige Brauerei ins Leben zu rufen. Der Vertrag wurde am 3. Januar 1859 vor einem Notar von dem Spezereiwarenhändler Johann Strigler, dem Bankier Abraham Mayer jr. und dem Kaufmann Wilhelm Boos unterzeichnet. Zum Aufbau des Betriebs holte man Ludwig Brey, Inhaber der Münchener Löwenbrauerei, nach Mainz. Er errichtete die „Brey’sche Aktienbrauerei“ auf dem Kästrich. 1872 trennte man sich von Brey und benannte das Unternehmen in „Mainzer Aktien-Bierbrauerei“ um.
Die Aktienbrauerei wuchs rasch zu einer der größten westdeutschen Brauereien heran. Das „Aktienbier“, nach bayerischer Rezeptur untergärig gebraut und länger haltbar, wurde ein wichtiger Mainzer Exportartikel. Man belieferte nicht nur ganz West- und Mitteldeutschland, sondern auch Belgien, Holland und Frankreich. Die riesige Brauhausanlage war drei- und vierfach unterkellert. Ab 1876 waren hier von der Firma Linde neu entwickelte Kälteerzeugungsmaschinen im Einsatz. Die Brauerei produzierte ihr eigenes Malz, um dessen Qualität sicherzustellen.
Die Brauereianlagen auf dem Kästrich wurden ständig erweitert. Um 1900 kam eine moderne Flaschenkellerei hinzu. 1908 waren 380 Menschen im Betrieb beschäftigt, und der Bierausstoß war seit 1861 von 11.781 auf 296.400 Hektoliter angestiegen. In Mainz und Umgebung zählte man nun 215 Schankstellen, davon 35 in eigenen Häusern.
Im Ersten Weltkrieg war die Hälfte der Belegschaft eingezogen. Man ersetzte die Männer zum großen Teil durch Frauen und durch 40 russische Kriegsgefangene. Auch 87 Pferde und alle Benzinkraftwagen der Brauerei waren beschlagnahmt. Die Rohstoffe wurden bald knapp, da den Brauereien nur ein Viertel ihres „Friedensbedarfes“ an Gerste zugeteilt wurde. Der Rest wurde zur Ernährung der hungernden Bevölkerung benötigt. Von dem erzeugten Bier musste zudem „vorweg das erforderliche Heeresbier“ geliefert werden.
1918–1982
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Aufhebung der Rationierung stieg der Bierausstoß rasch wieder an. Allerdings war der Einkauf der Rohstoffe von der starken Teuerung, die 1923 in eine galoppierende Inflation mündete, empfindlich betroffen. Außerdem litt die Wirtschaft auf dem linken Rheinufer unter den Maßnahmen der französischen Besatzung, insbesondere unter der Zollgrenze.
Doch die Aktien-Bierbrauerei überstand – im Gegensatz zu anderen Mainzer Unternehmen – die Inflation fast unbeschadet. Sie war frühzeitig zu einer Goldmark-Bilanzierung übergegangen und hatte so das Stammaktien-Kapital gerettet. Ende der 1920er Jahre belastete der Staat die Brauereien durch wiederholte Biersteuererhöhungen, während gleichzeitig in der Weltwirtschaftskrise die Umsätze stark sanken. Von der neuen Reichsregierung unter Adolf Hitler versprach sich der Vorstand positive Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung, doch die Biersteuer wurde nicht gesenkt. Erst ab 1937 erlebten die Brauereien einen Aufschwung. Nach sechsjähriger Kurzarbeit konnte die Aktienbrauerei im Sommer 1938 zur Vollbeschäftigung zurückkehren. Doch schon ein Jahr später begann der Krieg. Die oberirdischen Brauereianlagen auf dem Kästrich erlitten im Zweiten Weltkrieg durch Bomben schwere Schäden. In den tiefen Kellern der Aktienbrauerei suchten bei den Luftangriffen viele Mainzer Schutz.
Nach der Währungsreform von 1948 konnte der Wiederaufbau zügig in Angriff genommen werden. Der Bierausstoß stieg kontinuierlich an. Die Mälzerei wurde ausgebaut, und es wurden moderne Sudeinrichtungen angeschafft. Doch ab den späten 1950er Jahren zeichnete sich überall ein Rückgang des Bierkonsums ab. Der Wein aus der Region stellte eine starke Konkurrenz dar, und es setzte ein harter Preiskampf unter den Brauereien ein. 1968 wurde die Binding-Brauerei AG Mehrheitsaktionärin bei der Mainzer Aktien-Bierbrauerei. Im Mai 1972 beschloss die Aktionärsversammlung die Integration der MAB in die Binding-Brauerei. Auf dem Kästrich wurde noch mehrere Jahre lang gebraut. 1982 verlagerte die Binding-Brauerei die Produktion dann von Mainz nach Frankfurt a.M. Die traditionsreiche Brauereianlage auf dem Kästrich wurde wenig später abgerissen.