Kinderwelten
Ein Blick in Mainzer Kinderzimmer
in früherer Zeit
Marionettenbühne von 1928, geschaffen von dem
Mainzer Maler Hans Kohl und dem Marionettenschnitzer Walter Oberholzer, München; Puppenküchen, Kinderkaufladen und vieles mehr.
Vom dunklen Depot zurück ins Bühnenlicht: Marionetten und Bühnenbilder des Hausmarionettentheaters Hans Kohl und Walter Oberholzer
Die Sammlung des Stadthistorischen Museums Mainz ist im Besitz eines kompletten Theaters mit prächtigem Portalvorhang und raffinierter Beleuchtung! Wenn auch der Bühnenausschnitt lediglich über die bescheidenen Ausmaße eines Bildschirms verfügt – also damit an Papiertheater der Biedermeierzeit erinnert – und die dazugehörigen „Schauspieler“ gerade mal 15 Zentimeter messen, so hat man es doch mit einem großen Schatz zu tun, denn die künstlerischen Väter dieses Theaterchens waren am Rhein und an der Isar zu ihrer Zeit anerkannte Meister ihres Fachs: der Mainzer Maler Hans Kohl (1897-1990) und der Münchner Bildhauer und Puppenschnitzer Walter Oberholzer (1893-1980, langjähriger Ausstatter des traditionsreichen Münchner Marionettentheaters von Hilmar Binter). Um 1916 lernten sich beide Künstler an der Akademie der Bildenden Künste in München kennen, und das in Mainzer Obhut befindliche historische Hausmarionettentheater, welches ab dem Jahr 1925 bespielt wurde, gilt als Ergebnis ihrer Künstlerfreundschaft. Diese antiquarischen Marionetten, gezeichnet von Hans Kohl und geschnitzt von Walter Oberholzer, fanden sich bei ihrer Wiederentdeckung zunächst in einem Karton als „Knäuel“ aus hölzernen Führungskreuzen, Fädengewirr, Knoten und Gliedmaßen …
Die Mainzer Museumsleiterin Dr. Hedwig Brüchert und Markus Dorner, der Leiter des Museums für PuppentheaterKultur der Stadt Bad Kreuznach, haben den Wert dieses musealen Schatzes erkannt und sich mit Sorgfalt darum gekümmert, dass sich Marionetten und Bühnenbilder nun dem (Museums-)Publikum im neuen alten Glanz zeigen können. Ermöglicht wurde dieses arbeitsintensive Unterfangen durch zahlreiche Spenderinnen und Spender, die sich nach einem Hilferuf in Arsprototo für diesen einzigartigen Schatz begeisterten und ihn vor dem Verfall retten wollten.
Über vier Jahre lang hat dann das Team des PuK-Museums die fast fünfzig kleinen Marionetten von Hans Kohl und Walter Oberholzer restauriert, neu aufgeschnürt und wieder spielbar gemacht – dabei verarbeitete Markus Dorner allein mehrere tausend Meter an original Salzburger Marionettenfäden!. Ebenso wurde die hölzerne Bühne, an der der Zahn der Zeit genagt hatte, samt Vorhang, Beleuchtung und Kulissen für mehrere Märchen der Gebrüder Grimm und von Wilhelm Hauff wieder instandgesetzt. Daraufhin hätten die höchst empfindlichen historischen Marionetten eigentlich direkt den Weg in verschlossene Ausstellungsvitrinen gefunden, wäre da nicht die verlockende und reizvolle Idee im Raum gestanden, die ganze Ausstattung noch einmal im Museum für PuppentheaterKultur der Stadt Bad Kreuznach (www.bad-kreuznach.de/puk) und im Stadthistorischen Museum Mainz gespielt zu präsentieren.
Nach 90 Jahren war es also wieder soweit, im Heimmarionettentheater Kohl/Oberholzer hob sich erneut der Vorhang zum „Kalif Storch“ (Münchner Premiere anno 1927). Die Geschichte vom „Kalif Storch“ orientiert sich an dem gleichnamigen Kunstmärchen des Dichters Wilhelm Hauff: Der Kalif Chasid kauft von einem Krämer eine Dose mit geheimnisvollem Pulver, mit dem man sich in Tiere verwandeln kann. Doch ist man erst einmal verwandelt, darf man nicht mehr lachen. Sobald man lacht, vergisst man das Zauberwort zur Zurückverwandlung in menschliche Gestalt.
Zur Überraschung der Zuschauer trat zunächst in alter Münchner Tradition der Kasperl Larifari auf, um den Zuschauern von Heute den Faden zur Aufführungssituation von damals zu erläutern. Beim eigentlichen Märchenspiel war Eleen Dorner (Neustadt an der Weinstraße) als Erzählerin zu hören, passende orientalische Klänge komponierte und spielte Klaus Dreier (Laubach) live am Klavier und die Mini-Marionettenwelt dirigierte Markus Dorner (PuK-Museum), der auch die Textfassung nach verbürgten historischen Quellen verfasst hat. Als eine der Vorlagen diente dabei das Textbuch des St. Galler Marionettentheaters, an dem sich nachweislich auch Marionettentheaterdirektor Hans Kohl seinerzeit orientierte.
Im bildnerischen Bereich zeigte sich noch einmal, was den Schnitzer Oberholzer mit dem Kunstmaler Kohl vor fast hundert Jahren verbunden hat: die Liebe zum gestalterischen Detail und der gepflegte Stil eines märchenhaften Realismus.
„Eine familiäre, fast als intim zu bezeichnende Theateratmosphäre wurde erzeugt durch die Einschränkung der Zuschauerreihen auf nur vierzig Plätze, durch die stimmlich eine angenehme Spannung erzeugende Textlesung (…). Der Zuschauer fühlte sich wundersam hinein genommen in eine Haustheateraufführung aus vergangenen Zeiten, gerettet in unsere Neuzeit. Ein solches Miniatur-Marionettentheater gehört als kleines Geschwister an die Seite der großen Marionettenbühnen“, resümierte der Puppentheaterfreund und -kritiker Dieter Goergen das Live-Erlebnis („marionettissimo“ 8 in Bad Kreuznach, November 2018).
Bei den Wiederaufführungen waren mit Enkeln und Urenkelin auch Nachkommen des Portrait- und Landschaftsmalers Hans Kohl anwesend, die im nachfolgenden Gespräch auch an die aktive künstlerische Beteiligung der Ehefrauen der beiden Künstler erinnerten. Als kongeniale Partnerin von Walter Oberholzer zeichnete nämlich die Textilgestalterin Lisl Oberholzer für die Figurenkostüme verantwortlich, die diese dann Hand in Hand mit der Gattin von Hans Kohl ausführte. Jene Anni Kohl steht bei allen Theaterzetteln aus der aktiven Zeit des Hausmarionettentheaters Kohl und der späteren „Frankfurter Marionetten-Spiele“ bei den PuppenführerInnen stets an erster Stelle; die Stütze des Ensembles!
Nun ist das restaurierte Hausmarionettentheater von Hans Kohl und Walter Oberholzer in alter Pracht wieder in der Dauerausstellung im Stadthistorischen Museum Mainz (www.stadtmuseum-mainz.de) zu bewundern. Unser Dank gilt Markus Dorner, der es nicht nur versteht, meisterhaft die Puppen zu führen, sondern der die fast 50 Marionetten in unzähligen Arbeitsstunden mit Expertise, handwerklichem Geschick und viel Fingerspitzengefühl zu neuem Leben erweckt hat. Und ganz besonders danken wir den Leserinnen und Lesern von Arsprototo, die das große Projekt der vollständigen Restaurierung dieses einzigartigen Schatzes durch ihre Spenden überhaupt erst möglich gemacht haben.